In Deutschland gibt es hunderttausende ÖPNV-Haltestellen – also Haltestellen von Bussen und Bahnen. Wir haben systematisch die ÖPNV-Haltestellen aus den elektronischen Fahrplandaten durchwühlt und uns angeschaut, welche nicht, wie gewöhnlich, nach den Straßennamen oder Plätzen benannt werden, sondern nach Einzelhandelsnamen benannt sind, die an diesen Haltestellen direkt angesteuert werden können.
Denn auch das ist mobilitätsbezogenes Marketing – der Name des Einzelhändlers taucht im Fahrplan auf, wird benannt – und direkt mit einem Standort verbunden. Wir wollten uns mit dieser Recherche einmal anschauen, wie weit verbreitet dieses vermutlich eher unkoordinierte und womöglich auch unbezahlte Marketing der Einzelhändler in Kooperation mit dem ÖPNV ist.
Die GTFS-Feeds sind die offen verfügbaren elektronischen Fahrplandaten, die von weiteren Dienstleistern wie z. B. der Webseite GTFS.de von Dr. Patrick Brosi für Deutschland aufbereitet und ausgewertet werden. Auf deren Webseite heißt es dazu: "Es handelt sich mit über 20.000 Linien, mehr als 500.000 Haltepunkten (Anm.: die meisten Haltestellen haben mehr als einen Haltepunkt) und fast 2 Millionen regelmäßig verkehrender Fahrten um einen der größten GTFS-Datensätze der Welt." Wir haben diesen Feed und damit die ÖPNV-Fahrpläne nach Namen der größeren Einzelhandelsketten durchforstet.
Das Resultat: Rund 300 Haltestellen sind deutschlandweit nach Rewe, OBI und Co. benannt. Am präsentesten ist Kaufland: Fast 70 Haltstellen führen die Marke Kaufland im Namen. Danach folgen mit Edeka, Aldi und Lidl weitere Einzelhändler des täglichen Bedarfs. In den Top 5 der Markenpräsenz tummelt sich auch Ikea – trotz der deutlich geringeren Anzahl Filialen. Bei 71 Standorten in Deutschland gibt es immerhin 45 Ikea-Haltestellen.
Alle gebrandeten Haltestellen, die wir identifiziert haben, sind Bushaltestellen. In Magdeburg heißt zwar die Endhaltestelle der Tramlinie 1 „Ikea", die ist aktuell allerdings außer Betrieb.
Räumlich ist das Phänomen deutschlandweit verbreitet, wobei in Berlin-Brandenburg eine gewisse Immunität festzustellen ist. In Brandenburg gibt es nur einzelne Vorkommen (z.B. „Kaufland Eberswalde“). Einige Haltestellen sind nach dem angesteuerten Einkaufszentrum benannt (z.B. „Stern Center“ in Potsdam), tragen aber keine Einzelmarken als Namen. In Berlin haben wir keine Haltestelle mit Einzelhandelsbranding identifiziert, nicht einmal an kommerziell geprägten Orten wie an der Mercedes Arena in Friedrichshain oder am Kurfürstendamm. Ergebnis einer „schützenden" Policy in den Nahverkehrsverträgen – so eine involvierte Expertin.
Auch im Stadtgebiet Frankfurt am Main haben wir keine Haltestellen detektiert. Hier ist dies ebenfalls Ergebnis einer bewussten Entscheidung: Es gibt eine stadt-interne Richtlinie zur Benennung von ÖPNV-Haltestellen, so eine fachkundigen Person vor Ort. Eigennamen von Einzelhandelsfilialen, Gastrobetrieben oder Hotels sollen nicht vorkommen; genausowenig wie Namen noch lebender Personen oder von privaten Anwesen. Nur 600 Meter hinter der Stadtgrenze sieht die Lage aber schon wieder anders aus: hier befindet sich in der kreisfreien Stadt Offenbach am Main die Bushaltestelle „Kettelerstraße/Aldi“.
Anders ist es im Rest der Republik, wie die Karte unten zeigt; es lassen sich sonst über die gesamte Republik Beispiele für gebrandete Haltestellen finden. An manchen Orten finden sich vieler solcher Haltestellen trotz anderer Vorgaben. Im Verbundraum des VBN sind „kurzlebige Namen von z. B. Einzelhandelsgeschäften oder Gaststätten […] nur in Ausnahmefällen zu wählen.“ Dennoch gibt es hier ein Duzend solcher Haltestellen.
Dabei gibt es kleinräumig zwei Typen:
Nahversorgung
Haltestellen an Zentren der Nahversorgung – meist Flachbauten mit gutem Parkplatzangebot plus einer Haltestelle mit Markennamen in Mittel- und Großstädte.
Grüne Wiese
Die Erschließung sehr großer Einkaufszentren oder Filialen an den Rändern unserer Großstädte und Metropolen. Der Ikea-Halt ist z. B. ein solcher Ort.
Gebrandete Haltestellen kommen also vor – haben aber in der Grundgesamtheit von 0,5 Millionen Haltestellen kaum Gewicht. Sicherlich kann man einer Kommerzialisierung im öffentlichen Leben kritisch gegenüberstehen. Man könnte aber auch sagen, dass Bushaltestellen eh ein Ort für Werbebotschaften sind. Mit dem Haltestellen-Branding kann dem Einzelhandel zusätzlich Standortmarketing angeboten werden – und gleichzeitig die Erreichbarkeit dieser Standorte mit dem ÖPNV kommuniziert werden. Somit können Kommunen und Städte in dieser Kooperationsform alternative Erreichbarkeiten dieser Standorte (neben dem noch immer dominant genutzten Privat-Pkw, aber auch anderen nachhaltigen Mobilitätsformen wie dem Zufußgehen und dem Radfahren) über den ÖPNV promoten. Und für die ÖPNV-fahrenden Kunden ist eine solche Benennung im Zweifel auch eine gute Orientierungshilfe.
Wenn wir als Gesellschaft die Mobilitätswende voranbringen wollen, dann müssen auch jene Baustrukturen angegangen werden, die zunächst primär für das Auto geschaffen wurden – und das am besten pragmatisch, multi-modal und bald. Einzelhandel und Kommunen / Städte können hier zusammenarbeiten. Der autozentrierte Ansatz des Großmarkts auf der ehemals Grünen Wiese funktioniert erschließungstechnisch gegebenenfalls nicht mehr so gut, wenn die Mobilitätswende in den kommenden Jahren voranschreiten sollte – ein nicht vollkommen auszuschließendes Szenario. Der standortbezogene Einzelhandel sollte sich für die möglichen Veränderungen nun wappnen. Ein Planungshorizont von 5 bis maximal10 Jahren erscheint uns nicht völlig aus der Luft geholt zu sein, bis diese Veränderungen spürbar greifen werden. Besser also jetzt für nachhaltigere Strukturen sorgen.
Sicherlich bringt die Namensvergabe der Bushaltestellen keine Millionenbeträge, aber ein Bus, der durch die halbe Großstadt mit dem Zielbahnhof „Ikea“ fährt, führt schon zu ein paar tausend Sichtkontakte am Tag. Es ist zu vermuten, dass hier kein Sponsoring-Vertrag mit dem Einzelhändler zugrunde liegt. Die Mobilitätsanbieter verschenken also Einnahmen – aus Absicht, aus Unachtsamkeit oder aus Bequemlichkeit. Da viele dieser Standorte auf der grünen Wiese entstanden sind, kann zumindest davon ausgegangen werden, dass die namensgebenden Unternehmen über Erschließungsgebühren an den Infrastrukturkosten beteiligt sind. Es ist aber leider zu vermuten, dass darüber hinaus keine kontinuierliche Kofinanzierung des ÖPNV-Betriebs vorliegt.
Das Zielbild sollte sein, dass ein Bus direkt vor dem Ikea-Eingang hält und nicht am Ende des Parkplatzes. Dass die Einrichtung (und ggfs. Benennung) einer Haltestelle am Einzelhandels-Standort einfacher sein sollte als die großflächige Asphaltierung einer Parkbucht. Aktuell ist das eher andersrum. Und dass der Einzelhandel als Nutznießer dieser Infrastruktur die Plicht hat, die Erschließung durch den ÖPNV auch im Betrieb mitzufinanzieren, gleichzeitig auch das Recht hat, stärker Wünsche bzgl. Linienführung und Taktung zu äußern. Denn so entsteht letztendlich auch eine Win-Win-Win-Situation, die letztlich auch den Kunden / Bürgerinnen nutzt.