Die Verkehrswende:
wir drehen uns im Kreis

Was Googles Daten uns über unsere Mobilität verraten



Berlin, Mai 2023. Autor: Benno Bock

Vor Kurzem hat Google seine Zeitreihe zum Modal-Split um die Daten von 2022 erweitert. Ein guter Zeitpunkt, um eine datenbasierte Einschätzung zur Verkehrswende abzugeben. Denn nun zeigt sich, wohin die Reise mit der Verkehrswende nach Covid19 geht – für Deutschland zeichnet die Datenlage ein verhaltenes Bild. Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf diese Daten werfen. Dabei sollte wir eine qualitative Bewertung der neuen Datenqualle in Sachen Zuverlässigkeit und Vollständigkeit nicht vergessen.

Hier geht es direkt zu den Daten in Tabellenform und zum Daten-Download.


Der Aktienkurs der Verkehrswende


Modal-Split 2018 - 2022 in deutschen Großstädten
[in Prozent]


Im Trend: fallende Kurse für die Nachhaltigkeit

Um ein Gefühl für die zeitliche Entwicklung zu gewinnen, haben wir den Durchschnitt der Modal-Split-Anteile der vier Hauptverkehrsträger in den 20 bevölkerungsreichsten Städte Deutschlands erstellt. Man erkennt ganz eindeutig die Covid19-Auswirkungen in 2020 und 2021: beim ÖV zeigt sich eine Delle in der Nutzung - gleichzeitig sehen wir Zuwächse beim MIV (MIV = Motorisierter Individualverkehr) und Fahrrad. Die Trendumkehr ist dann 2022 zu vernehmen. Doch reicht die aus? Auch 2022 war nicht frei von Corona-Effekten, jedoch deuten die Zahlen darauf hin, dass die Nutzung des Umweltverbundes (also von Rad, Bus und Bahnen sowie dem Zu-Fuß-Gehen zusammen) sich nach der Pandemie auf einem niedrigeren Niveau als 2018 einpendelt.


München top, Bremen flop


Ein Blick in die Zeitreihe offenbart, dass in fast allen deutschen Großstädten zwischen 2018 und 2022 insgesamt eher Zuwächse in den Anteilen des MIV zu verzeichnen sind. Im Umkehrschluss heißt dies: der Trend in Bezug auf umweltfreundlichere Alternativen ist abnehmend. Von einer Mobilitätswende kann also dort, wo man sagt, sie sei am einfachsten möglich – in den Großstädten – aktuell kaum die Rede sein!

Am schlechtesten schneidet laut Google die Stadt der Brötchentaste ab: in Bremen wuchs der MIV-Anteil um fast 3 Prozentpunkten. Düsseldorf, Stuttgart, Köln, aber auch Schwergewicht Berlin verzeichnen deutliche MIV-Zuwächse. Positiv in den Daten tut sich die Radl-Hauptstadt München hervor: Hier stellt Google einen Rückgang des MIV-Anteils um 3,6-Prozentpunkte fest.


MIV-Anteilszugewinne zwischen 2018 und 2022
[in Prozentpunkte]


Zwischenfazit: Gut zu wissen, aber stimmt das überhaupt?

Wenn man den Daten trauen darf, so gibt es noch einiges zu tun in deutschen Großstädten. Das an sich dürfte allgemein bekannt sein. Aber mit dem Modal-Split von Google ist das nun auch schwarz-auf-weiss zu sehen. Jahresfein. Städtefein. Für alle nachzuschlagen bzw. sogar zu verfolgen, denn das nächste Jahr kommt bestimmt.


Modal-Split à la Google


Woher stammen die Modal-Split Daten?

Die hier verarbeiteten Informationen hat Catchment dem „Google Environmental Insights Explorer“ entnommen – hierbei handelt es sich um ein Portal, welches kooperierenden Kommunen wichtige ökologische Kennzahlen bereitstellt. Mitarbeitende kommunaler Institutionen können bei Google einen Zugang beantragen. Die Daten sind für die breitere Öffentlichkeit jedoch nur als "Auszug" verfügbar.

Daher sind diese Angaben mit gewisser Vorsicht zu genießen, stellen aber im Bereich der öffentlich-verfügbaren Modal-Split-Daten das Umfassendste dar, was es aktuell gibt. In Europa sind 7.624 Orte abgebildet. Die Modal-Split-Angaben reichen bis 2018 zurück. Auch gut: Alle Daten basieren auf der gleichen Erhebungs- und Verarbeitungsweise – können also im Zeitablauf und für verschiedene Räume verglichen werden (wenn auch mit Einschränkung: siehe „Ein noch junges Verfahren“).

Datenlieferanten: Die vielen Millionen NutzerInnen von Google-Diensten. All jene, die das Häkchen bei der „Google Location History“ gesetzt habe, können dabei ihre Bewegungs- und Modal-Split-Daten sogar über Google Maps in ihrer eigene Zeitleiste einsehen – und korrigieren. Von Google beim Environmental Impact Explorer dargestellte Verkehrsträger sind Auto, Motorrad, zu Fuß, Fahrrad, Bahn, Bus, Straßenbahn und U-Bahn. Die ersten beiden wurden oben zum motorisierten Individualverkehr (MIV) zusammengefasst und die letzten vier zum öffentlichen Verkehr (ÖV).


Vollständigkeit einzelner Verkehrsträger für die 20 Städte


Ein noch junges Verfahren

Insbesondere unter den ÖV-Daten kommt es für einzelne Verkehrsträger zu gewissen Lücken bzw. vermutlich stochastischen Veränderungen in der Zeitreihe. Google selber schreibt dazu: "Diese Veränderungen sind das Ergebnis verbesserter Inferenzmodelle, die besser zwischen den einzelnen Verkehrsträgern unterscheiden. Insgesamt verbessern diese Änderungen die Genauigkeit und Verwendbarkeit der Emissionsschätzungen auf lange Sicht." Indirekt gibt Google also zu, die Angaben mit Vorsicht zu nehmen. Ähnlich verhält es sich mit der Datenvollständigkeit. So werden die Bus- oder Motorrad-Anteile nicht für jedes Jahr ausgewiesen. Man darf aber davon ausgehen, dass jede Großstadt einen Anteil von über einem Perzentil aufweist, womit auch ausgeschlossen werden kann, dass diese Werte wegen Abrundung auf Null nicht aufgeführt sind.


Weniger Radanteil, höherer Fußwegeanteil

Wird die Differenz zwischen der letzten großen Mobilitätserhebung in Deutschland, der MiD 2017, herangezogen, so wird deutlich, dass einige Differenzen vorliegen. So werden die Radanteile am Modal-Split für Berlin, Hamburg, München, Stuttgart und Bremen von Google im Vergleich zur MiD systematisch unterschätzt. Unserer Meinung nach muss an dieser Stelle der Erkennungsalgorithmus von Google angepasst werden, denn paralelle Studien mit Google Location History Daten zeigen, dass insbesondere dieses Verkehrsmittel von den Teilnehmenden korrigiert wird. Fußwege kommen bei Google durchwegs häufiger vor, denn Google nutzte faktisch getrackte, fest definierte Zeit- und Ortsdaten, die im Algorithmus verarbeitet werden – unabhängig davon wie kurz die Wege sind.


Differenz der Google-Anteile zu den MID-Angaben
[in Prozentpunkte]

Ähnlich wie bei Smartphone-Tracking-Erhebungen wie z. B. mit MotionTag, neigt diese Erhebungsmethode also dazu, Fußwege aufzuzeichnen, die in anderen, befragungsorientierten Verfahren eher als Etappen oder Wegabschnitte erfasst würden. Entsprechend kann die Differenz der Fußweganteile zwischen MiD und Google darin begründet liegen, dass diese kurzen Wegabschnitte von den Befragten einfach vergessen werden. Der Modal-Split der MID fragt nur nach Wegen, welche durch einen Hauptwegezweck (z. B. zum Bäcker gehen) definiert werden.

Die Modal-Split Daten von Google in Tabellenform

Die Daten wurden für die 20 wichtigsten deutsche Städte über fünf Jahre hinweg erfasst.


Ausgewählte Modal-Split Angaben aus der MID 2017